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Inhalt

 

Die realen Möglichkeiten als Totengräber des Kapitalismus?  Eine Sammel-Rezension

   Elmar Altvater: Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik, Münster 2006 (3. Auflage)

   Thomas Seifert / Klaus Werner: Schwarzbuch Öl. Eine Geschichte von Gier, Krieg, Macht und Geld, Wien 2005.

   Erik Möller: Die heimliche Medienrevolution. Wie Weblogs, Wikis und freie Software die Welt verändern. 2., erweiterte und aktualisierte Auflage, Hannover 2006.

 

Hans-Georg Bensch: Perspektiven des Bewußtseins. Hegels Anfang der Phänomenologie des Geistes. 

Reihe: Contradicto. Studien zur Philosophie und ihrer Geschichte. Herausgegeben von Günther Mensching. Band 5. Würzburg 2005. (Verlag Königshausen & Neumann, 29,80 €) 

 

 

Karl Heinz Haag: Metaphysik als rationale Weltauffassung, Ffm. 2005. 

(120 Seiten, Verlag Humanities Online)

 

Die realen Möglichkeiten als Totengräber des Kapitalismus?   

Eine andere Art Rezension

Elmar Altvater: Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik, Münster 2006 (3. Auflage).

Thomas Seifert / Klaus Werner: Schwarzbuch Öl. Eine Geschichte von Gier, Krieg, Macht und Geld, Wien 2005.

Erik Möller: Die heimliche Medienrevolution. Wie Weblogs, Wikis und freie Software die Welt verändern. 2., erweiterte und aktualisierte Auflage, Hannover 2006.

 Diese drei Werke sind nicht ganz neu auf dem Buchmarkt. Im Internet gibt es inzwischen viele Rezensionen: Man braucht nur den jeweiligen Titel in Anführungszeichen in eine Suchmaschine wie Google eingeben und kommt zu den gewünschten Besprechungen. Unsere Sammelrezension konzentriert sich deshalb auch nur auf einen Aspekt: Wir haben etwas Gemeinsames an den sonst sehr unterschiedlichen Werken gefunden, das sie zu einer Sammelbesprechung prädestiniert: Möglichkeiten, wie das Leben heute sein könnte, wenn, ja wenn es nicht ein Wirtschaftssystem gäbe, das diese utopischen Splitter in der Gegenwart mit ökonomischen Zwang und daraus folgender staatlicher Lenkungs- und Repressionspolitik immer wieder bekämpft. Wenn Elmar Altvater recht hat, dass zu einer Veränderung der Verhältnisse nicht nur Kritik, sondern auch ein rationales Ziel gehört, dann konzentriert sich diese Rezension auf mögliche vernünftige Ziele der gesellschaftlichen Veränderung. 

Altvaters Vorstellung einer solidarischen und nachhaltigen Gesellschaft

 Grundlage jeder realen Möglichkeit ist die Wirtschaft. Ohne funktionierende Ökonomie könnte keiner mehr als ein paar Tage überleben. Im Jahre 0 (Beginn der Zeitrechnung, angebliche Geburt von Christus) trug ein Mensch etwa mit 450 Dollar (Wert von 1990) zum Bruttoinlandsprodukt bei; um 1000 u. Z. waren es schätzungsweise 400 Dollar des Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukts, 1820 dagegen schon 1.232 Dollar und 1998 waren es 17.921 Dollar (Altvater, S. 93). Wir leben also historisch in einem Zeitalter des Reichtums, wie er einmalig ist. Dass dieser Reichtum ungleich verteilt ist, zu Umweltschäden führt, fast eine Milliarde von sechs Milliarden regelmäßig Hunger leiden, 2,5 Milliarden in Armut leben, ist gewiss der kapitalistischen Organisation der Wirtschaft geschuldet. Dasselbe Wirtschaftssystem, dass einen historisch nie gekannten Reichtum hervorbringt, sorgt auch dafür, dass dieser Reichtum zugleich Armut produziert, wenige wirklich reich sind und die Masse der Arbeitenden gerade mal ihre notwendigen Lebensbedürfnisse befriedigen kann und nur sehr beschränkt am kulturellen Reichtum partizipiert.

Hinzu kommt die Unbeherrschbarkeit der kapitalistischen Ökonomie, die ihre Marktbeziehungen nicht nur durch Krisen löst, sondern in der auch Gewalt strukturell ist, eine Gewalt, die über nationalstaatliche Organisation notwendig zu Kriegen führt. So z.B. bei den Kriegen um Rohstoffe:  „Öl - Treibstoff des Krieges, Ursache von Korruption, Menschenrechtsverletzung, Bürgerkrieg, Umweltverschmutzung und drohendem Klimakollaps.  Eine Blutspur führt von den Zapfsäulen an den Persischen Golf: Zuerst (1953) stürzte die CIA den demokratisch gewählten Premier des Iran, der die Ölindustrie verstaatlicht hatte (...) Die US-Truppen bleiben am Golf und unterhielten weiter Basen in Saudi-Arabien. (...)  Saddam wurde gestürzt, die USA haben rund 130 000 Mann im Irak stationiert. Täglich geben irakische Bürger und GIs ihr Leben und ihr Blut dafür, dass das Schmiermittel der Weltwirtschaft weiter fließt.“ (Seifert/Werner, S. 247)

Der tiefere Grund dieses Kriegsmotors ist der Zwang zum „Wachstum“, der in der Kapitalökonomie inkarniert ist. Ziel dieser Ökonomie ist nicht nur der Profit, das ist nur eine Durchgangsform des Kapitals, sondern Akkumulation des Profits. Da das Einzelkapital nicht konkurrenzfähig bliebe, wenn es nicht die neuesten, d.h. produktivsten, Maschinen, Verfahren usw. anwendete, muss es ständig die Profite wieder reinvestieren. Hinzu kommt  noch wie Altvater schreibt: „Profite sind nur realisierbar, sofern die Akkumulation nicht stoppt. Also müssen sich im Verlauf von Akkumulation und Wachstum auch die Märkte für die produzierten Waren ausweiten, sonst können die Profite nicht realisiert werden.“ (S. 95) 

 Wenn man also Kriege, Armut, Hunger und Zerstörung einer lebenswerten Umwelt, die Folge des Wachstumsmechanismus im Kapitalismus, abschaffen will, muss man die kapitalistische Ökonomie abschaffen. Hier setzt die utopische Fantasie Altvaters, die streng an realen Möglichkeiten orientiert sein soll, ein. 

Das Prinzip der Solidarität

 Er fordert eine andere Wirtschaftsweise bereits in der bestehenden. Diese neue Ökonomie müsse nach dem „Prinzip der Solidarität und Fairness“ funktionieren, weil das Äquivalenzprinzip des bestehenden Wirtschaftssystems zu der beschriebenen Ungleichheit führt, die von anderen vorgeschlagenen Prinzipien der Reziprozität und Redistribution mangelhaft seien (Altvater, S. 183 ff., 185 ff.). „Solidarität entsteht nur mit breiter Beteiligung von unten. Gemeinsame Anstrengungen zur Lösung eines gemeinsamen Problems sind gefragt. Jeder leistet seinen solidarischen Beitrag nach seinen Möglichkeiten, d.h. unter Bedingungen der Fairness. Solidarität setzt daher ein Bewusstsein von Gemeinsamkeiten und innerer Verbundenheit in einer Gesellschaft voraus, die in einer Kultur, Ethnizität, Lokalität, Klasse oder einer die Klassen übergreifenden Lebenserfahrung begründet sein kann, um ein großes Problem, z.B. Arbeitslosigkeit, Armut oder Rechtlosigkeit gemeinsam zu bewältigen“. (Altvater, S. 186) 

 Solidarität muss unterschieden werden von dem „Allerweltsbegriff für freundliche Absichtserklärungen“, wie er in allen Parteiprogrammen vorkommt, sie sei kein idealistisches Programm, sondern ein Prinzip einer „moralischen Ökonomie“ (ein Begriff von E.P. Thomson), die gegen ökonomische Zwänge oder außerhalb der Marktökonomie das gemeinsame Überleben durch solidarisches Handeln sichern soll. Es müssten, „die Funktionsmodi des Weltmarktes geändert werden, die die Primärverteilung bestimmen und für die beklagte extreme Ungleichheit und daher auch Ungerechtigkeit in der Welt verantwortlich sind. Dies in Rechnung gestellt, sind die Initiativen von unten, etwa die Fair-Trade-Bewegung oder die Ansätze einer genossenschaftlichen solidarischen Ökonomie, eine realistischere Lösung als das Warten auf die ‚moral lieadership’ eines ‚more powerfull country’. (Altvater, S. 188) 

 Solche Alternativen seien nicht erst nach einer Revolution realisierbar, sondern in der kapitalistischen Gesellschaft und gegen sie würden diese Initiativen den Keim einer neuen Gesellschaftsordnung bilden. Revolution ist deshalb auch nicht als plötzliche Veränderung, gar als Putsch zu denken, sondern als ein allmählicher Übergang in eine neue Form des Zusammenlebens. Nach Altvater könne die „Umwälzung von Produktions- und Konsumverhältnissen beim Übergang zu erneuerbaren Energien als Revolution verstanden werden, als eine radikalere soziale Veränderung als die, die der ‚Sturm auf die Bastille’ ausgelöst hatte.“ (Altvater, S. 177 (das Wort „radikalere“ hätte ich ihm als Lektor gestrichen!))  Mit Verweis auf die industrielle Revolution in England, die nach Engels radikaler (!) war als die Französische Revolution, aber langsamer und stiller vor sich ging, stellt Altvater Folgendes fest: 

  1. Im Widerstand gegen die Auswüchse der Globalisierung zeige sich ein neues Subjekt der Veränderung, das nicht mehr mit der „traditionellen Arbeiterbewegung“ zusammenfalle (S. 200).
  2. „(...) findet die Auseinandersetzung mehr und mehr auch außerhalb des ‚formellen’ Klassenverhältnisses, im größer werdenden Bereich der Informalität statt. Denn mehr und mehr Menschen werden aus den formellen Produktions- und Verteilungssystemen ausgeschlossen. Dagegen bilden sich jene Bewegungen, die sich für Solidarität und Nachhaltigkeit einsetzen: Genossenschaftsbewegungen, Land- und Fabrikbesetzer, Organisationen der Stadtviertel, Umweltgruppen und diejenigen, die sich für die Einführung erneuerbarer Energien stark machen.“ (S. 200)
  3. Ändern sich auch die Formen der Auseinandersetzung, die heute „angemessene Form der Auseinandersetzung ist die vielfältige Vernetzung von Gruppen, Initiativen, Organisationen, die sich regelmäßig zu Ratschlägen oder Foren auf verschiedenen Ebenen  - lokal, national, global – treffen, Erfahrungen austauschen, theoretische Reflexionen anstrengen und gemeinsame Aktionen und Kampagnen beschließen. Das ist ein offener politischer Prozess, in dem auf ein verbindliches Programm verzichtet werden kann. An die Stelle der Programminhalte tritt die Methode der Erarbeitung von strategischen Zielen und Schritten, sie zu erreichen. Das entspricht etwa dem, was Lelio Basso mit dem Konzept der kollektiven Forschung (ricerca colletiva) intendierte.“ (S. 200f.)  Selbst wenn man bedenken hat, ob so etwas gelingen wird oder nicht, ist der Bereich der Informalität, wie er durch das Internet gegeben ist, dafür die entscheidende technische Voraussetzung. (Dies wird unten, in der Besprechung von Möllers „Medienrevolution“ aufgezeigt.)
  4. „Der Glaube an eine Vernunft, die ökologische und soziale Grenzen zur Kenntnis nimmt, herrscht über die analytische Einsicht, dass auch die vernünftigsten, ökologisch und sozial bewusstesten Akteure den Systemzwängen gehorchen. Daher geht es um eine Radikalisierung der Fragestellung, die schon Rosa Luxemburg aufgeworfen hatte: ‚Sozialismus oder Barbarei’, bzw. in den Worten der Zapatistas ‚Solidarität oder Barbarei“.“ (S. 202)  Diesen zu realisierenden Sozialismus jenseits des Kapitalismus, der aber bereits im Kapitalismus heranwachsen muss, kennzeichnet Altvater als „nachhaltige Gesellschaft“ und „solare Revolution“. (Davon unten bei Seifert/Werner.)
  5. Für diese Möglichkeiten im Bestehenden müssen jetzt „autonome Räume“ des Neuen und neue Zeitrhythmen gegen die Verteidiger des Status quo erobert und besetzt werden. Zu diesen Parallelstrukturen gehören die Selbstverwaltung gegen und außerhalb der Staatsverwaltung, die soziale Fürsorge, alternatives Bildungs- und Gesundheitswesen usw.; das „transzendierende Potenzial von solidarischer Ökonomie und nachhaltiger Gesellschaft“ gilt es zu stärken und auszubauen.

 Das neue an Altvaters konkreter Utopie ist nicht der Bezug auf Genossenschaftsbwegungen oder eine Revolution durch Reformen, die bisher immer gescheitert sind, sondern sein Gedanke, dass die technische Entwicklung solche Alternativen möglich macht, reale Bewegungen darauf hinarbeiten und durch das Ende der Ölproduktion der Kapitalismus einen Schock bekommen könnte, der eine Alternative als Ziel bereits jetzt erforderlich mache.

 Unseres Erachtens wird aber das Gewaltpotenzial, das die prokapitalistischen Politiker inzwischen angesammelt haben, unterschätzt. Vor allem aber wird die Rolle der Arbeiter- bzw. Lohnabhängigenklasse unterschätzt. Nur diese können z.B. durch Streiks das Kapital wirklich in die Knie zwingen. Dies ist der rationale Gehalt der „Proletarierromantik“ bei den traditionellen kommunistischen Parteien. (Vgl. dagegen „Das Ende des Proletariats als Anfang der Revolution“ –  http://wwwbalzix.de/e-lohoff ende des proletariats krisis10 1991.html .) 

Die solare Alternative

 Hier setzt zumindest mit einem wichtigen Aspekt die Zukunftsfantasie des „Schwarzbuch Öl“ von Seifert und Werner ein. Eine nachhaltige Gesellschaft mit solidarischer Ökonomie ist nicht auf der Basis extensiver Rohstoffausbeutung möglich, zumal die Erdölvorkommen ihren Peak (Gipfel) überschritten haben. Nachhaltige Energie ist nur durch Wind- und Wasserkraft und entscheidend durch die Sonne zu gewinnen.

 Der größte Teil des Buches von Seifert und Werner stellt die Geschichte von Krieg , Erpressung, Diktatur, Elend und Folter dar, die im Kampf ums Öl durch die kapitalistische Art der Erschließung, der Förderung und des Transports verursacht wurde und immer noch wird. Eine lesenswerte Darstellung, die allen Interessierten empfohlen werden kann. Am Schluss dieser Geschichte von Blut und Tränen entwickeln die Autoren Alternativen, die man als Konkretion von Altvaters solarer Ökonomie interpretieren kann.

 Die Autoren fragen: „Warum wäre Wasserstoff der ideale Treibstoff?“ Ihre Antwort und Schlussfolgerung: „Bei der Verbrennung von Wasserstoff entsteht Wasser (H2O), aber nicht das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2). Bei der Wasserstoffumsetzung wird weder das umwelt- und gesundheitsschädliche Gift Schwefeldioxid frei noch die mutmaßlichen krebserregenden Stickoxide. Beim  Auspuff kommt nur Wasser heraus. Kein Ruß, kein Ozon. Würden alle Autos in der Stadt mit Wasserstoff fahren, wäre die Luftqualität in unseren Städten fast so gut wie am Land. Wasserstoff kann aus Wasser hergestellt werden, unter Einsatz verschiedenster Energiequellen. Damit der Umstieg auf die Wasserstoffwirtschaft Sinn macht, muss Wasserstoff freilich aus erneuerbaren Energiequellen produziert werden. Da Wasserstoff aber nicht an Fundstellen gebunden ist, wie Öl oder Gas, sondern potenziell überall hergestellt werden kann, wo es Wasser und Strom gibt, würde die visionäre Wasserstoffwirtschaft auch eine breite Palette von geopolitischen Problemen lösen: Kein Blut mehr für Öl.“ (Seifert/Werner, S. 231)

 Sonnen- und Windenergie haben derzeit das größte Potenzial, die Zukunft der Energieversorgung bereitzustellen. Daraus leiten die Autoren auch eine gesellschaftliche Utopie ab. „Die Wasserstoff-Visionäre sehen in der H2-Revolution eine mögliche Demokratisierung der Elektrizitätswirtschaft: Die Stromnetze der Zukunft wären – nicht mehr wie früher – eine Elektronen-Einbahnstraße vom Kraftwerk zum Stromverbraucher, sondern ‚jede Familie, jedes Geschäft, jedes Stadtviertel, jede Gemeinde wird überall auf der Welt sowohl Produzent als auch Konsument von Wasserstoff und Elektrizität sein und diese Güter entweder selbst verbrauchen oder weiterverkaufen können.’ Die Brennstoffzelle steht in Form des Autos in der Garage und liefert ans Netz, auf dem Dach des Wohnhauses erzeugen Photovoltaik-Panelen, vor der Stadt Windmühlen Strom. Das Stromnetz der Zukunft wäre demnach ein viel engmaschigeres Netz als heute. (...) Ein mit Wasserstoff betriebenes Brennstoffzellen-Auto wäre nichts weiter als ein fahrbares Kraftwerk. Steht das Auto still, steckt man es an die Steckdose und es liefert Strom. Der Tank wird dann an der Wasserstofftankstelle wieder aufgefüllt oder, wenn man eine Windturbine im Garten oder eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach hat, zu Hause oder in der Garage. Ein solches Hybrid-Netz würde die Idee des Internet, das die ganze Telekommunikationsbranche revolutioniert hat, auf die Energiewirtschaft übertragen und eine Lawine von Innovationen lostreten. Solarzellen, Mikroturbinen und andere Strom erzeugende Geräte würden einen Markt an Abnehmern finden, anstatt des Heizkessels hätte man Hi-Tech-Generatoren im Keller.“ (Seifert/Werner, S. 233 f.)

 Dem stehen allerdings die Profit-Interessen der Ölkonzerne und die imperiale Macht der USA, „die ihr Imperium auf Öl begründet haben“ (S. 234) entgegen. In einer dezentralen „solaren Weltwirtschaft“ hätten sie keine Bedeutung mehr. Und wie Altvater weiß, zerfällt der Kapitalismus nicht einfach wie das Sowjetimperium, sondern – so sein wiederholtes Credo – wie er mit Fernand Braudel sagt: der Kapitalismus bricht nur zusammen durch einen „äußeren Stoß von extremer Heftigkeit im Verein mit einer glaubwürdigen Alternative“ (Altvater, S. 13 et passim).

 Gesetzt den Fall, Altvaters konkrete Utopie wäre stimmig und entspräche den Interessen der Menschen, so dass sie diese auch durchzusetzen versuchen, so käme es auf den Stand dieser alternativen Entwicklung an, ob die Menschheit diesen „äußeren Stoß von extremer Heftigkeit“ überlebt oder nicht. Eine notwendige Bedingung dieser realen Möglichkeiten ist die Informiertheit und Vernetzung der alternativen Projekte, Ideen und denkenden Subjekte. Dazu könnte wesentlich das Internet mit seinen großartigen Möglichkeiten beitragen. Das große Potenzial des Internets, das teilweise bereits realisiert ist, hat Erik Möller in seinem Buch 

„Die heimliche Medienrevolution“

 beschrieben und interpretiert.

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 Karl Marx hat einmal gesagt, die erste Freiheit der Medien ist es, kein Gewerbe zu sein. Das Internet erfüllt bereits diese Freiheit oder könnte es doch erfüllen. Webspace für eine Internetpräsens kostet fast nichts. Eine  eigene Website zu betreiben ist damit jedem möglich. Jeder wird zugleich Sender und Empfänger. E-Mail-Verkehr ist bereits im Internetanschluss enthalten, Foren und Chatrooms zu betreiben, um sich zu vernetzen, Gedanken auszutauschen, Treffen vorzubereiten und Verabredungen zu organisieren ist rund um Welt in Echtzeit möglich.

  Früher war die Kommunikation meist einseitig, besonders die Massenkommunikation: ein Autor schreibt für eine anonyme Leserschaft, der Rundfunk sendet  Nachrichten an die zerstreuten Hörer, das Fernsehen berieselt die isolierten Zuschauer. Das Internet dagegen erzeugt eine dezentrale Meinungsbildung, in dem jeder, der etwas zu sagen hat, Gehör finden kann. RSS-Feets erlauben es, sich seine eigene Zeitung zusammenzustellen, von dem konservativen und etablierten Blättern wie der FAZ über Indimedia, die Nachrichten von Betroffenen bringt, an der also jeder sich beteiligen kann, bis hin zu radikalen Websites wie die „Erinnyen“, die sozialistische Positionen vertreten. In der Webblogsphäre kann jeder selbst zum Nachrichten- und Meinungsredakteur werden. Sind seine Beiträge interessant, dann werden sie evtl. von Hunderttausenden gelesen.

 „Am größten ist der Einfluss kollaborativer Blogs wie Slashdot, Kuro5hin und Daily Kos. Sie demonstrieren, dass durch die Zusammenarbeit von Hunderten freiwilligen signifikanter Medieneinfluss und auch finanzielle Macht entstehen können.“ (Möller, S. 157)  Das Internet könnte ein Mittel der Demokratisierung der Gesellschaft werden bis hin zu neuen Möglichkeiten der direkten Demokratie, man denke nur an Abstimmungen über das Internet. Doch dagegen versuchen die prokapitalistischen Politiker vorzugehen. So am augenfälligsten in Staaten wie China.

 „Die Blogosphäre ist, obwohl sie aus Millionen von kleinen und großen Blogs besteht, erstaunlich kohärent. Einzelne Blogger können mit minimalen Kosten Zehntausend oder Hunderttausende von Lesern erreichen – nicht zuletzt deshalb werden Blogs unter repressiven Regimen scharf verfolgt. Die großen chinesischen Blog-Hoster zensieren beispielsweise ausnahmslos über maschinelle Filter Beiträge, die Reizthemen wie die taiwanesische Unabhängigkeit ansprechen. Auch US-Dienstanbieter arbeiten eng mit den chinesischen Behörden zusammen. Anfang Januar 2006 löschte etwa der von Microsoft betriebene Blog-Dienst ‚MSN Spaces’ kommentarlos das Blog eines chinesischen Dissidenten, offenbar, um so eine Zensur des gesamten Blog-Dienstes zu verhindern.“ (Möller, s. 156)

 In den westlichen Demokratien sind die Versuche der Repression subtiler. Mittels Urheberrechts, Patenten, um die selbst erzeugte Terrorgefahr durch Datenkontrolle einzuschränken und aus – teilweise berechtigter - Angst vor Kriminellen, die das Internet missbrauchen, wird versucht die Freiheit des Internets einzuschränken, die Beteiligten zu kontrollieren und die Meinungsvielfalt zu beschränken. Dennoch hat das Internet ein informatives und organisatorisches Potenzial, das Voraussetzung für eine dezentrale Gemeinschaft freier Bürger werden könnte.

 Ein Beispiel für die Informationsbeschaffung ist Wikipedia. Diese freie Enzyklopädie, an der jeder, der Wissen auf seinem Gebiet hat, sich beteiligen kann, enthält inzwischen mehr Artikel als die größte kommerzielle Enzyklopädie (Brockhaus 300.000 – Wikipedia 340.000; Stand Januar 2006, S. 183). Während der neue Brockhaus mehrere tausend Euro kostet, ist Wikipedia kostenlos zu benutzen. Wikipedia ist selbstorganisert, sie ist nicht nur kostenlos zugänglich, sondern ihre Artikel können auch weiterverarbeitet werden, ohne Copyright-Einschränkungen. Die Qualität der Artikel wird gesichert durch eine abgestimmte Qualitätskontrolle. Das Fazit des c’t-Tests: „Wikipedia erreichte mit 3,6 Zählern im Inhaltstest die höchste durchschnittliche Gesamtpunktzahl – das entspricht einem schwachen Gut. Die Wikipedia-Gemeinde scheint das Verlässlichkeitsproblem (...) langsam in den Griff zu kriegen. Schließlich unterlaufen trotz aller Kontrolle auch den kommerziellen Konkurrenten Fehler. (...) Wikipedia ist das Nachschlagewerk für den neugierigen Wissenschaftler mit guter Allgemeinbildung, der auf Videos, Animationen und multimediale Elemente keinen Wert legt.“ (Möller, S. 185)  Auch können z.B. die Leser selbst einzelne Artikel bewerten und kommentieren. Treten Konflikte auf zwischen konträren Meinungen entscheidet ein „Schiedsgericht“ (S. 181). 

 Alle Artikel der Wikipedia wie auch die medialen Inhalte stehen unter einer „Creativ-Commens-Lizenz“, d.h. jeder kann die Artikel kopieren, weiterverarbeiten oder in seine Performens einbauen, solange er nur die Quelle angibt. „Wie ein schwarzes Loch saugt das Wikipedia-Archiv wertvolle freie Inhalte aus aller Welt auf. Das in Kapitel 3 erwähnte Foto-Archiv Flickr erlaubt es Benutzern, ihre Fotos unter einer freien Lizenz freizugeben. (...) Mittelfristig könnte es auch externen Wikis und anderen Websites ermöglicht werden, auf das Medienarchiv zuzugreifen. Dazu müssten sie die Daten allerdings zwischenspeichern, um die Wikimedia-Server nicht über Gebühr zu belasten. Es wäre auch möglich, die Auslieferung großer Mediendateien auf diesem Wege zu dezentralisieren – Wikipedia & Co. würden dann beim Laden eines Bildes oder einer Sound-Datei automatisch einen schnellen Spiegel verwenden. Ganz nebenbei würde durch dieses Konzept jede MediaWiki-Installation der Welt zum potenziellen Medienlieferanten für Wikimedia Commons.“ (Möller, S. 193)

 Im Gegensatz zu urheberrechtsgeschützten Werken, deren Benutzung Geld kostet, regen lizenzfreie Werke zu explodierender Kreativität und Weiterentwicklung an. „Dabei gibt es im Netz eine gigantische Gemeinschaft von talentierten Künstlern, die ihre Werke kostenlos zur Verfügung stellen (z.B. unter deviantort.com). Wenn Commons benutzerfreundlicher wird und zielorientierte Portale schafft, könnten hier kleine Meisterwerke entstehen. Auch ‚Bildspendenaufrufe’, die etwa über Fotozeitschriften publiziert werden, könnten das Archiv stärker nach außen öffnen.“ (S. 194)

 Eine andere Möglichkeit des Wiki-Projekts ist „Wikinews“. Wenn jeder, der einem besonderen Ereignis beiwohnt, zum Reporter wird und mit Bild und Text sich an Wikinews beteiligen kann, dann fällt nicht nur das Informationsmonopol der bürgerlichen Massenmedien, sondern auch deren manipulative (zumeist neoliberale) Sichtweise und Auswahl würden konterkariert.

 Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Entwicklung von Open-Source-Software. Kommerzielle Software-Entwickler stehen in Konkurrenz miteinander und entwickeln Software mit gleicher Funktion in verschiedenen Firmen. Der jeweilige Quellkode wird streng geheim gehalten, damit die Konkurrenz ihn nicht für ihre Projekte benutzen kann. Das führt zur Mehrfachentwicklungen, mangelnde Abstimmung mit Zusatzprogrammen und gesamtgesellschaftlich betrachtet zur Verschwendung von Resourcen und zum Hemmnis des Fortschritts. Ganz anders bei Open-Source-Programmen und freier Software. Hier ist der Quellkode jedem Interessierten zugänglich. Jeder Programmierer kann die Software weiter entwickeln, neue Programme anfügen oder Fehler beseitigen. Statt gegeneinander zu arbeiten, wird gemeinsam ein Projekt fortentwickelt. Wettbewerb um eine gemeinsame Sache anstatt Konkurrenz gegeneinander. Die Resultate stehen den Anwendern frei und kostenlos zur Verfügung (vgl. S. 162).

 Möller macht den Unterschied von freier Software und kommerzieller am Beispiel von Linux und Windows deutlich. „Weltweit ist die Linux-Gemeinde heute wohl die am besten vernetzte Entwicklergemeinde überhaupt. Praktisch jeder lebende Entwickler einer Systemkomponente oder Anwendung ist per E-Mail erreichbar – man versuche zum Vergleich einmal, auch nur mit dem Entwickler von Windows-Taschenrechner zu kommunizieren.“ (Möller, S. 63)  Zur Motivation, an Open-Source-Programmen mitzuwirken, zählt Möller mit Richard Stallmann folgende Gründe auf: Politischer Idealismus, Spaß, Ego-Befriedigung, Reputation, Nächstenliebe, Dankbarkeit, Neugier, Eigenbedarf und zuletzt auch Geld, insofern einige  Entwickler auch von Stiftungen oder Firmen bezahlt werden.

 Wenn ein Topos der Marxschen Kapitalismuskritik lautet, dass die Produktionsverhältnisse zum Hemmnis der Produktivkräfte werden, dann ist der Unterschied von Open-Source- und Closed-Source-Entwicklung ein Beispiel dafür. Das Linux-Betriebssystem ist nicht nur kostenlos erhältlich, es ist qualitativ mindestens ebenso gut und entspricht eher den Bedürfnissen der Nutzer als das Windowssystem, vor allem aber kann es das Monopol von Windows durchbrechen, damit die Kontrolle durch einen kommerziellen Konzern und seine Monopolpreise. Externe Programme, die unter Windows laufen, führen oft zu Systemabstürzen, weil sie nicht an den geheim gehaltenen Quellkode von Windows angepasst sind (diesen erhalten nur ausgewählte Firmen!). Microsoft selbst musste sich 1998 eingestehen: „Die Fähigkeit von Open-Source-Entwicklung, die gemeinsame Intelligenz Tausender Entwickler aus dem Internet zu sammeln und nutzbar zu machen, ist einfach unglaublich.“ (zitiert nach Möller, S. 71)

 Auch wenn nicht alle Blütenträume reifen werden, die in dieser Sammelrezension angedeutet wurden, so ergeben sich doch faszinierende Möglichkeiten, denen gegenüber nur die sozialen Verhältnisse als Hemmnis und Verhinderungsgrund erscheinen. So wie z.B. das Internet neue Informations- und Vernetzungsmöglichkeiten bietet, so kann es auch als Instrument der Kriegspolitik und letztlich auch als Mittel dienen, die Spezies Mensch durch einen Nuklearkrieg von diesem Planeten hinwegzufegen.

 Und dennoch: Was für Möglichkeiten tun sich auf, welche Aussichten auf ein friedliches selbstbestimmtes Leben. Wenn, ja wenn es nicht ein Wirtschaftssystem gäbe... Aber müssen wir dies ertragen und bedienen? Fast die Hälfte der jungen Menschen geht heute aufs Gymnasium. Die formale Bildung ist in den letzten 50 Jahren rapide gestiegen. Wir sind vielleicht nur etwas intelligenter als unsere Großeltern, aber wir wissen mehr, fallen nicht mehr so schnell auf Propaganda  herein, verstehen nicht nur Technisches, sondern auch gesellschaftliche und ökonomische Zusammenhänge besser als die ehemaligen Volksschüler.

 Konnte Adenauer in den 50er Jahren noch Wahlkämpfe gewinnen mit den Slogan: „Nur keine Experimente“, so wird heute das Experiment von allen gefordert. Wagen wir doch das große Experiment, springen wir in einen humanen Kommunismus, realisieren wir die positiven Möglichkeiten, die der moderne Kapitalismus geschaffen hat, und eleminieren wir ein Wirtschaftssystem, das uns todsicher vernichten wird, wenn es prolongiert wird.

 Wir müssen hier enden, die Praxis ruft. Das Dach unseres Gemeinschaftshauses braucht  eine Solaranlage und die Ortsgruppe meiner Organisation plant, den Gemeinderat zu übernehmen...

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Stand: 24. Juli 2006