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10.  Rickerts Wertphilosophie im engeren Sinne

 Die Wertphilosophie Rickerts ist der unvollendet gebliebene Höhepunkt der subjektiven Wertlehre. Da Rickert in seiner Frühphase hauptsächlich Windelbands Wertphilosophie präzisiert und radikalisiert, konzentrierte ich mich auf sein Spätwerk, in dem er „einen Neuidealismus an sich geltender, transzendentaler  Werte“ vertritt (Schnädelbach: Philosophie, S. 222).

 Wirklich (real) gibt es nach Rickert physische und psychische Gegenstände. Nicht-Wirklich (irreal) sind dagegen die idealen Gegenstände (z.B. mathematische), die aber existieren. Die „Werte“ dagegen sind zwar auch ideal, aber sie existieren nicht, sondern gelten. Wirkliches, Existierendes und Geltendes machen zusammen die Totalität, die Rickert Welt nennt, aus. „Außer den Wirklichkeiten gibt es Werte, deren Geltung wir verstehen wollen. Erst diese beiden Reiche zusammen machen das aus, was den Namen der Welt verdient, und dabei ist vor allem darauf zu achten, daß die Werte, die wir so den Wirklichkeiten gegenüberstellen, nicht etwa selbst als Wirklichkeit anzusehen sind.“  (Rickert: Aufsätze, S. 13)  Schematisch könnte man die Totalität (Welt) unterteilen in:  

Totalität 

  als

  "Welt"

 Realität  physisches Existieren
 psychisches Existieren
 Irrealität

 ideal Existierendes

 (z.B. mathematische 

      Gegenstände)

 ideal Geltendes (Werte)

 Rickert macht den Unterschied von ideal geltenden Werten und real Existierenden am Beispiel des Kunstwerkes deutlich: „Es gibt Objekte, die, wie man sagt, Wert haben, oder an denen Werte haften, und die man dann selbst auch Werte nennt. Ein Kunstwerk z.B. ist eine solche Objektwirklichkeit. Aber man kann leicht einsehen, daß der Wert, der an ihm haftet, nicht etwa mit seiner Wirklichkeit zusammenfällt. Alles Wirkliche an einem Bilde, die Leinwand, die Farben, der Lack, gehört nicht zu den Werten, die mit ihnen verknüpft sind. Wir wollen daher solche mit Werten verknüpfte Objektwelten ‚Güter’ nennen, um sie von den an ihnen haftenden Werten zu unterscheiden.“ (Aufsätze, S. 13)  Werte als irreale Dinge, die aber gelten, bedürfen zwar eines denkenden Subjekts, das mit ihrer Hilfe wertet. Diese Werte sind aber nicht ein Aspekt dieses Subjekts wie etwa die transzendentale Apperzeption bei Kant oder das „Normalbewußtsein“ von Windelband, die angenommen werden müssen, um wahre Gedanken zu haben, sondern ihm vorgeordnet als apriorische Bedingung der Möglichkeit, überhaupt objektiv werten zu können.

 Jede Wertung setzt Werte voraus. „Außerdem ist der Wert jedoch mit einem Subjekt verknüpft, das Objekte wertet, und man kann nun meinen, daß eine Wirklichkeit nur dadurch zum Gut, ein Bild also nur dadurch zum Kunstwerk wird, daß Subjekte ihm einen Wert beilegen.“ (Aufsätze, S. 13)  Diese Wertung ist aber nach Rickert nur dann objektiv, wenn die Werte der Wertung in einer eigenen Sphäre der Geltung gedacht werden. Fiele der Wert mit der Wertung zusammen, so wie es Lust nur gibt im Akt des Fühlens, dann gäbe es keine objektiv begründbare Wertlehre. „Der Wert selbst wäre dann eine Wirklichkeit, genauer ein psychisches Sein, und eine Wissenschaft von den Werten wäre daher ein Teil der Psychologie.“ (Aufsätze, S. 13)  Das heißt, eine solche Einzelwissenschaft bräuchte selbst noch einmal Werte, um sie zu konstituieren und beurteilen zu können. Wertungen lassen sich nach Rickert nur objektiv begründen, wenn die Werte dem Wertakt vorgeordnet sind, also apriorische Bedingung der Möglichkeit objektiver Wertungen sind. „Wir müssen daher mit allem Nachdruck hervorheben, daß die Werte von den psychischen Akten des wertenden Subjekts, wie überhaupt von jeder Wertung und jedem Willen, begrifflich ebenso streng zu scheiden sind, wie von den Objekten, an denen sie haften, oder den Gütern. Es ist zwar sicher, daß die Werte für uns immer mit Wertungen verbunden sind, aber sie sind eben verbunden mit ihnen und sind gerade deswegen nicht dasselbe wie die wirklichen Wertungen. Der Wert gehört als Wert in eine ganz andere Begriffssphäre als die wirkliche Wertung“ (Aufsätze, S. 14). 

 Werte sind das „objektive Apriori“ (Schnädelbach) jeder tatsächlichen Wertung. Oder andersherum: Wir können überhaupt nur objektiv werten, wenn apriorische Werte gelten. „Ja, kommt der Wert als Wert in Betracht, so ist die Frage nach seiner Existenz sinnlos. Man kann nur fragen, ob er ‚gilt’ oder nicht, und diese Frage fällt unter keinen Umständen mit der nach der Existenz des Wertens zusammen. An theoretischen Werten, d.h. an wissenschaftlichen Wahrheiten kann man sich das leicht klar machen. Die Frage, ob der an einem Satz haftende theoretische Wert gilt, ob, wie man gewöhnlich sagt, der Satze wahr ist, wird niemand für gleichbedeutend halten mit der Frage, ob die Geltung faktisch anerkannt ist, ob man den theoretischen Wert auch wirklich wertet.“ (Aufsätze, S. 14)  Werte bilden nach Rickert „ein Reich für sich, das jenseits von Subjekt und Objekt liegt“. Was diese Sphäre ist, wenn sie auch unabhängig vom wissenschaftlichen Subjekt gelten soll, ist schwer einzusehen. Waren bei Kant die apriorischen Kategorien an das transzendentale Subjekt gebunden, sozusagen das wissenschaftliche Subjekt im empirischen Subjekt, so sollen Rickerts „Werte“ in einer dem transzendentalen Subjekt jenseitigen Geltungssphäre gedacht werden, die aber auch keine ontologische sein soll wie bei Platon. (Vgl. das letzte Kapitel).

 Dennoch sind Werte nichts Subjektfremdes, sie unterscheiden sich von bloß Existierenden einschließlich des ideal Existierenden (mathematische Gegenstände) durch unsere subjektive Anteilnahme an ihnen. „Das Wesen des Existierenden, das wir bei Werten nicht meinen, liegt darin, daß es uns nichts ‚angeht’, falls es nur existiert.“ Das heißt ohne Wert für uns ist. „Es ist einfach da.“ Es „erweckt nicht unsere Teilnahme. Das versteht jeder unter einem bloß Existierenden. Einem Wert gegenüber, der uns als Wert zum Bewußtsein kommt, bleiben wir dagegen nie in dieser Weise gleichgültig. Er zieht uns in seine Kreise, läßt uns nicht ruhen, sondern erweckt unser Mitleben. Wir nehmen zu ihm Stellung, sind an ihm ‚beteiligt’ oder ‚interessiert’, fühlen uns ergriffen und aufgerufen in unserer Spontaneität, sind an ihn gefesselt, stellen ihn nicht nur vor.“ (Rickert: System, S. 114) 

 Mit dieser poetischen Verbindung wird bei Rickert wie schon bei Lotze und Windelband eine emotionale Brücke konstruiert zwischen den Werten, die objektiv gelten, also subjektunabhängig sind, und den empirischen Subjekten, die sich „wertend“ verhalten und an diesen Werten interessiert sind, denen also diese Werte immanent sind. Darin ist aber auch die Möglichkeit der Kluft zwischen individuellen Werten und den Werten enthalten, die zu objektiv geltenden erklärt werden. Wer letztere nicht anerkennt, wird dann regelmäßig denunziert als weniger sittlich reif, als Wilder, als jemand, der kein Kulturmensch ist, und schließlich als ein Mensch, der weniger wert ist. (Vgl. Kapitel 15)

 Mit seiner Begriffsdifferenzierung grenzt sich Rickert von Lotze ab, der den Werten eine Geltung aus dem Weltgrund Gott zuerkannte (vgl. Rickert: System, S. 121). Eine solche Idealexistenz wäre entweder bloß behauptet oder theologisch fundiert (wie bei Lotze) – beides ist keine hinreichende Begründung. Mit seiner Bestimmung der Werte als ideale nicht existierende Gegenstände wendet sich Rickert aber auch gegen seinen Lehrer Windelband, der eine faktischer Geltung der Werte annimmt: „Hebt man das Wollen und das Fühlen auf, so gibt es keine Werte mehr.“ (Windelband:  Einleitung, S. 254).  Wenn Werte faktisch für das Bewusstsein gelten, dann wären sie nach Rickert Gegenstand der Psychologie, die als empirische Wissenschaft keine objektiven Werte begründen könnte.

 Die Bedeutung der formalen Bestimmung der Werte wird deutlich, wenn man die Kritik Rickerts an der Lebensphilosophie einbezieht. Der Biologismus sieht im Leben „nicht nur das wahrhaft reale Sein, sondern auch das Gut aller Güter, das allein die wahrhaft gültigen Werte trägt. Alle Werte also müssen sich im Grunde als Lebenswerte erweisen lassen, d.h. als Werte, die am Leben haften, bloß weil es Leben ist. Erst wenn wir hierauf ausdrücklich die Aufmerksamkeit lenken, verstehen wir die Beliebtheit und die weite Verbreitung der Meinung ganz, daß nur mit Hilfe der Biologie wir endlich zu einer wahrhaft wissenschaftlichen Lebensgestaltung kommen werden.“ (Rickert: Aufsätze, S. 40)  Dagegen wendet Rickert ein, dass der biologische Begriff des Lebens überhaupt keinen Wert enthalte. Ein lebendiges Wesen als bloß physisches Gebilde ist völlig wertlos, es sei denn ein menschlicher Wille gibt ihm Wert (z.B. zukünftiger als Braten im Herd). Als Biologisches enthält es keinen Wert, denn die Zweckgerichtetheit seiner Organe auf ein bestimmtes Telos hin, macht es noch nicht wertvoll (man denke nur an Steckmücken).

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 „Die moderne Biologie stellt den Menschen in eine Reihe mit den übrigen Lebewesen. Sie nimmt  ihm also seine Ausnahmestellung als ‚Höhepunkt’, soweit er nur ein Lebewesen ist, und das Andere, wodurch der Mensch diese Ausnahmestellung vielleicht verdient, geht sie nichts an. Aus demselben Grunde bilden endlich auch die Begriffe des aufsteigenden und des niedergehenden Lebens vom biologischen Standpunkt aus keinen Wertgegensatz, und gesund und krank sind nicht mehr rein biologische Begriffe, falls man darunter Wert und Unwert versteht. Wenn der Mensch krank ist, leben die Bazillen, und wenn die Bazillen sterben, so wird der Mensch gesund. Es ist gewiß Sache des menschlichen Willens, hier Partei zu ergreifen und die menschliche Gesundheit als Zweck zu setzen.“ (Aufsätze, S. 56)

 Mit dieser Argumentation kritisiert Rickert nicht nur jeden Rassismus, sondern auch schon die spätere faschistische Lebensphilosophie vom „wertvollen und unwerten Leben“, insofern sie biologistisch begründet wird. Allgemein zeigt sich an dem Biologismus der Lebensphilosophie, dass Werte nicht von Gegenständen abgeleitet werden können, auch nicht von lebenden Wesen, selbst nicht vom Biologischen des Menschen. Eine Wertung des Lebens ist immer ein Akt des Willens und setzt für Rickert die irreale, aber objektive Geltung von Werten voraus. Wäre die Geltung der Werte faktisch, (wie sein Lehrer Windelband behauptet, vgl. Rickert: System, S. 124 f.), dann müsste man die „Modephilosophie“ des Lebens, ein „kindischer Anthropomorphismus“,  anerkennen, weil sie sich durchgesetzt hat. Wäre die Geltung der Werte eine ideale Wirklichkeit (vgl. Rickert: System, S. 121 f.), so könnte die Lebensphilosophie umstandslos behaupten, das Leben würde an dieser idealen Wirklichkeit partizipieren, die Überhöhung des bloßen Lebens als Wert (der Popularphilosoph Albert Schweitzer spricht von der „Ehrfurcht vor dem Leben“) wäre trotz der widersprüchlichen Konsequenzen (Bazillen – Mensch) gerechtfertigt. (Siehe hierzu eine neuere Kritik: Türcke: Tabu, S. 54 ff.)  Nur die Behauptung der Werte als irreale, aber objektiv geltende verlangt nach einer theoretischen Begründung der Werte entsprechend den wissenschaftlichen Standards, wie sie Rickert begreift.

 So richtig diese Kritik an der Lebensphilosophie und dem Biologismus auch ist, sein Maßstab der Kritik aus der Wertphilosophie ist dennoch falsches Denken. Rational wäre diese Kritik, wenn sie von der moralischen Bestimmung des Menschen als Zweck an sich selbst ausginge (vgl. Kant: Grundlegung, S. 66).

     Das System der Werte

 Was an  Rickerts Begriffsdistinktionen auffällt, ist ihr leerer Formalismus, der auf seiner Trennung von Methode und Gegenstand, von Erkenntnistheorie und Sachphilosophie beruht. Fragt man nach den Inhalt seiner „Werte“, dann muss man sich diese in seinem Gesamtwerk aus Einzelaussagen oder Beispielen zusammensuchen. Ziel der Wertphilosophie soll es allerdings sein, „zu einem System der Werte zu kommen, soweit das bei der Benutzung eines geschichtlichen und daher notwendig unabgeschlossenen Materials überhaupt möglich ist“ (Rickert: Aufsätze, S. 21). Denn ohne einen systematischen Zusammenhang der Werte könnten sie als widersprüchliche nebeneinander bestehen – die Wertphilosophie wäre inkonsistent und hätte keine Bedeutung als Wissenschaftstheorie. Rickert selbst hat solch ein System der Werte aber nicht versucht zu entwickeln. Allerdings hat er einen ersten Teil seines Systems der Philosophie geschrieben. Aus diesem hat Hans-Ludwig Ollig folgendes Schema der Werte tabellarisch aufgelistet, das ich noch um den „Eigenwert“ „soziale Autonomie“ ergänzt habe. Das Schema stützt sich vor allem auf Rickerts Anhang zu seinem ersten Teil des Systems:  

Gebiet

Wert

Gut

Subjekt-

verhalten

Weltbild

Logik Wahrheit Wissenschaft Urteilen Intellektualismus
Ästhetik Schönheit Kunst Anschauen Ästhetizismus

Mystik

unpersönliche

Heiligkeit

All-Eine

Vergottung

Mystizismus

Ethik

Sittlichkeit

Gemeinschaft

freier Persönlich-

keiten

autonomes Handeln

Moralismus

Individuum

soziale Autonomie

Eigenwert / Persönlichkeit

ethisches Urteilen

Individualismus

Erotik

Glücksgemein-

schaft

 

Liebesge-

meinschaft

 

Zuneigung bzw.

Hingabe

Eudämonismus

Religions-

philosophie

persönliche Heiligkeit

Götterwelt

Frommsein

Theismus oder Polytheismus

 (Vgl. Rickert: System, S. 420 ff.; und Ollig: Neukantianismus, S. 63. Die Zeile, die mit „Individuum“ beginnt, ist von mit hinzugefügt, vgl. Rickert: Aufsätze, S. 391))

 Was soll man mit solch einem Schema anfangen. Wo bleibt darin z.B. die Politik, die Staatstheorie oder die Soziologie bzw. die Gesellschaftstheorie (von sozialistischen Entwürfen ganz zu schweigen)?  Derart taugt die Tabelle noch nicht einmal als heuristisches Schema zur Erforschung von empirischen  oder historischen Wertungen.

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Stand: 24. Juli 2006