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13.  Die Sinngebung 

      mittels Werten als Ideologie

 

 Eine Philosophie der Werte kann es nicht bei einem kontemplativen Verhältnis zu den absolut geltenden Werten belassen. Sind diese als Überhistorische aus der Historie gewonnen (vgl. Rickert: Aufsätze, S. 20f.), so müssen sie auch wieder in die empirische und historische Wirklichkeit zurückwirken. Denn sonst wäre die Wertlehre eine Reflexion ohne praktische Bedeutung. Wirken kann die Wertphilosophie zunächst einmal, indem sie Wirklichkeit bewertet. Dies kann nur ein allgemeines Subjekt, wenn die Wertung von den individuellen Vorlieben, Zufällen und momentanen Eingaben unabhängig sein soll. Allgemein wird das individuelle Subjekt, wenn es die objektiven oder absoluten Werte als Maßstab zu Grunde legt. Dennoch bleibt auch dann noch ein Unsicherheitsfaktor auf Grund des Hiatus irrationalis im Bewusstsein. Deshalb nennt Rickert das Werten auch ein Deuten.

 Während die Naturwissenschaften erklären, die Kulturwissenschaften verstehen, sind die philosophisch begründeten Wertungen ein Deuten. Der wertende Subjektakt lässt die absoluten Werte bestehen und wendet sie nur auf die Dinge an. Aus einem profanen Ding, einem Kunstwerk, einem Menschen, einer historischen Epoche usw. wird durch die Wertung ein Gut. Güter sind also wertvolle Gebilde, die nur durch unsere Wertung wertvoll sind. An Gütern haftet sozusagen ein Wert. Obwohl die Werte absolut sein sollen, nicht wirklich, aber unbedingt und objektiv geltend sind, kommt durch die Wertung das menschliche Subjekt ins Spiel, das diese Werte anwendet und wirkliche Gegenstände zu wertvollen, also zu Gütern macht. Die Wertung von Dingen, so dass sie Güter werden, nennt Rickert Sinndeutung. Wir erfassen die wirklichen Gegenstände in einem Subjektakt mit Rücksicht auf seine Bedeutung für den Wert, der auf den Gegenstand anwendbar ist. Der Sinn ist nicht einfach ein psychisches (individuelles) Sein, sondern weist darüber hinaus auf objektive Werte. Selbst theoretische Sätze bekämen erst durch die Bewertung als „wahr“  einen Sinn. Die Sinngebung besteht neben der Wirklichkeit und der absoluten Wertsphäre als ein „drittes Reich“ (ein Begriff, der vor 1914 noch nicht faschistisch belastet war):  

Wirklichkeit (Erklären) Wertsphäre (Verstehen)
Sinngebung als 3. Reich (Deuten), die  Einheit beider

 Die Begründung der Werte durch Rickert hat gezeigt, dass dieser Begründung ein Zirkelschluss zu Grunde liegt, der das Einfallstor subjektiver Wertsetzungen ist. Die Inkommensurabilität zwischen  der theoretischen Wertsphäre und der praktischen Wertsphäre, nach der die praktische Wertsphäre am wenigsten rational begründbar sein soll, erhöhen die Willkür der Wertbegründung praktischer Werte noch. Zirkelschluss und Inkommensurabilität der Wertsphären werden dann unter den Bedingungen des bürgerlichen Universitätsbetriebes und der ideologischen Machtverhältnisse im Kapitalismus (vgl. Gaßmann: Wertphilosophie I, S. 52 f.) zur theoretischen Bedingung der Ideologieproduktion, also des falschen Bewusstseins zur Herrschaftssicherung des Kapitals.

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 Der Akt der Sinngebung und Deutung, die Bestimmung der wirklichen Gegenstände als Güter, der Individuen und historischen Ereignisse und Epochen als wertvoll bzw. mit Werten verbunden ist dann schon rein logisch von der Begründung der Werte her problematisch, nicht nur, wie Rickert einräumt, von ihrer Anwendung auf wirkliche Gegenstände. Wahre Werte, falls es so etwas überhaupt gibt, zufällige Meinungen, höhere oder niedere Vorurteile, die Vorlieben eines Edelspießers wie die eines ehrlichen bürgerlichen Wissenschaftlers, der nicht weiß, was er tut, könnte der Sinngebung ebenso zu Grunde liegen wie die „fortschrittlichen Werte“ des neukantianischen Sozialismus etwa bei Vorländer und Nartorp.

 Theodor Lessing bezieht sich in seinem Buch „Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen“ direkt auf Rickerts Wertphilosophie. Er erkennt den philosophischen Wertbegriff im allgemeinen an, zieht aber aus den Aporien der Wertbegründung Rickerts den Schluss auf die Subjektivität aller Werte: „Sinn von Geschichte ist allein jener Sinn, den ich mir selber gebe, und geschichtliche Entwicklung ist die Entwicklung von Mir aus und zu Mir hin.“ (Lessing: Sinnlosen, S. 19)  Da der Sinn der Geschichte immer durch eine „logificatio post festum“ zustande kommt, die tatsächliche Geschichte nach Ansicht Lessings unvernünftig abläuft, aus „Wünschen und Bedürfnissen“ entquillt, die „alles Rationale als bloßes Werkzeug für Willenszwecke zu verbrauchen pflegen“ (A.a.O., S. 20), kann es in ihr keinen Sinn geben. Selbst dieser  scheinbar aufgeklärte Impetus Theodor Lessings bleibt im ideologischen Denken verhaftet durch seinen Bezug auf den Wertbegriff. Da das Herangehen mittels Werten an die Geschichte deren Eigenart und Eigendynamik nicht in den Blick kommen lässt, erscheint sie bei Lessing sinnlos, bei Rickert dagegen als sinnvoll, nämlich als Fortschritt im Wertbewusstsein (vgl. Kapitel 16). Beides ist willkürlich und beruht auf der irrationalen Wertphilosophie.

 Die zirkuläre Begründung der Werte, die ihre behauptete Objektivität als Schein erweist, legt nicht nur den Verdacht nahe, ideologisches Bewusstsein zu ermöglichen, sondern muss zwangsläufig zu einem Konflikt der Werte führen, wie man dies später genannt hat. (Vgl. Jonas: Kriege und Werte, S. 43)  Und moralische und kulturelle Werte werden dann selbst zum Kriegsgrund hochstilisiert, um den Kampf um ökonomische Werte zu verschleiern. Diese Konsequenz steht aber im Widerspruch zu Rickerts uneingelösten Anspruch, dass seine Werte absolut seien, also sich über die menschlichen Interessen erheben, und objektiv seien, also rational begründet sind, und erlaubten, ein System zu konstituieren, also widerspruchsfrei miteinander harmonieren können. Auf Grund der widersprüchlichen Konstruktion der Wertphilosophie müssen sich auch diese Widersprüche in der konkreten Sinngebung Rickerts geltend machen.

 Es zeigt sich, dass selbst seine eigene Bestimmung der Sinngebung bereits ein Ausdruck sozialer Konflikte ist. Hatte Kant die Menschen noch als Zwecke an sich bestimmt, weil nur derjenige sich aus Einsicht dem Moralgesetz unterordnen kann, der es sich selbst kraft seiner Vernunft geben könne, was nur möglich ist, wenn er im Moralgesetz immer auch als Zweck an sich bestimmt ist, so ist für Rickert der Mensch durch die Sinngebung mittels seiner irrational begründeten Werte bestimmt. „Nur von den Werten aus können wir in den Sinn des Subjektes und seiner Akte eindringen.“ (Rickert: Aufsätze, S. 30)  Noch deutlicher wird dies bei seiner Heraushebung „großer Persönlichkeiten“ wie Goethe oder Bismarck in der Geschichte. 

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 Auch für Kant war klar, dass nicht alle Menschen ihrer Bestimmung als Zweck an sich genügten. Jedoch gestand er ihnen die Möglichkeit zu, so zu werden. Bei Rickert wird aus seiner Wertlehre eine Rechtfertigung der Klassenhierarchie. „Erst die Wertbeziehungen bestimmen die Größe der individuellen Differenzen.“ (Rickert: Begriffsbildung, S. 330)  Wie gewöhnliche Steine sich zu dem berühmten Diamanten  Kohinoor verhalten, so die „Durchschnittsmenschen“ zu Goethe. Darzustellen hat der Historiker nach Rickert das große Individuum in der Geschichte. Das heißt konkret angewandt: „Denkt man an die beiden von uns gebrauchten Beispiele für den Begriff des historischen Individuums, also an den Kohinoor und an Goethe, so könnte man meinen, daß die Teile der Wirklichkeit zu historischen Individuen werden sollen, die selbst Werte verkörpern, oder die Güter sind, an denen Werte haften, und zwar Werte von solche Art, daß sie von Allen positiv gewertet werden.“ (A.a.O., S. 324)

 Mit “Allen” ist in diesem Zitat zwar nicht die Gattung Mensch gemeint, die absolute Werte besitzen soll, sondern alle Menschen einer Epoche, die gewisse historische Werte anerkennen, aber da diese historischen Werte letztlich mit den absoluten zu vermitteln sind bzw. das Material hergeben, aus denen die absoluten gewonnen werden, drückt diese Ansicht schon von ihrer Konstruktion her ein Elitedenken aus, das die funktionale Hierarchie der kapitalistischen Gesellschaft auch als soziale Hierarchie festschreiben will.

 Allein schon die Parallelität zwischen der ökonomischen Werthierarchie mit der moralischen und kulturellen Werthierarchie verrät die soziale Botschaft, wie sie sich im Vergleich zwischen dem teuersten Edelstein und den kostenlosen Steinen einerseits und dem Vergleich zwischen der großen Persönlichkeit und dem „Durchschnittsmenschen“ andererseits ausdrückt. So wie in der herrschaftlich verfassten kapitalistischen Ökonomie die toten Dinge nach ihrem ökonomischen Wert, so soll auch die gesellschaftliche Hierarchie der Menschen bewertet werden.

Berücksichtigt man noch, dass Bildung bis heute, aber um 1900 fast ausschließlich ein Privileg der besitzenden Klassen ist, dann zeigt sich hier erneut, dass die Wert- und Geschichtsphilosophie von Rickert eine Klassenphilosophie ist, dass die Sinngebung in der Geschichte, die der Historiker macht, eine für den Sieger der Geschichte ist, dessen Erben die jeweils Herrschenden sind.

 Von dieser Werthierarchisierung der Menschen, die dem bürgerlichen Anspruch aus der Aufklärungsepoche nach Gleichheit aller Menschen widerspricht, zu einer Wertung der Menschen als unwert wie bei den deutschen Faschisten, ist es nur ein kleiner Gedankenschritt. Zwar hat Rickert ihn nicht getan, zwar wendet er sich gegen die biologistische Wertung von Menschen als „unwertes Leben“, aber in seiner Wertlehre liegt die Konsequenz, unwerte Menschen zu stigmatisieren oder Menschen mit anderen Kulturwerten zu diskriminieren und zu Feinden der Kultur zu erklären. Auch sind Rickerts konkreten Werte durchaus für einen Personalchef, der den Wert einer Arbeitskraft taxiert, anwendbar. Die Wertphilosophie, die auf allgemein gültigen Werten gegründet sein soll, erweist sich auch in der Anwendung der Werte durch die Sinngebung als partikulare. 

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14.  Die Realisierung der Werte oder 

      die Ethik der Wertphilosophie

 Das Bewerten von Dingen allein reicht nicht aus, die Kluft von Werten und Wirklichkeit, Sollen und tatsächlichem Verhalten, Pflicht und Tun auch nur annähernd zu schließen. Man muss in den umfangreichen Schriften von Rickert aber lange suchen, um so etwas wie eine Ethik zu finden, die auf seinen Werten beruht. Diese ethische Abstinenz allein nähert schon den Verdacht, dass es der Wertphilosophie gar nicht um praktisches Handeln geht, sondern um dessen ideologische Interpretation. Bereits von der Bestimmung des Wertbegriffs her ist seine Realisierung ausgeschlossen. „Werte lassen sich als Werte überhaupt nicht verwirklichen, und wo wir von ‚Wertverwirklichung’ sprechen, ist das stets cum grano salis zu verstehen. Gemeint ist immer die Verwirklichung von Gütern, an denen unwirkliche Werte haften.“ (Rickert: System, S. 113) 

 Soll der Wertehimmel in der Sphäre der Geltung aber nicht völlig folgenlos bleiben, dann muss Rickert über das Werten der Dinge und der Sinngebung hinaus auch eine ethische Dimension seiner Werttheorie angeben. Diese wird dann auch in seinen Systementwürfen angedeutet, denn seine Philosophie will nicht nur „Kontemplation“ sein, nicht nur einer „schönen Seele“ zur Erbauung dienen. Werte sollen „unseren Handlungen die Richtung geben“ (System, S. 120).

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 Nach Rickert lebt der Mensch nach der Sitte seiner Zeit, seiner Gesellschaft usw. Diese Sitte besteht für ihn aus „gewissen Formen des Lebens“, die „jedem Mitglied der Gesellschaft zugemutet“ werden. Die Befolgung dieser Sitte ist für Rickert noch nicht ethisch. „Nimmt jedoch der Mensch mit Bewußtsein zu den Sitten Stellung, so daß er die einen ausdrücklich billigt, die andern verwirft, stellt er sich also selbständig der Gesellschaft gegenüber, um ‚frei’ über seine Gebundenheit zu entscheiden, dann entsteht ‚Sittlichkeit’ als autonome Anerkennung des Pflichtgemäßen im sozialen Leben.“ (Rickert: Aufsätze, S. 90)  Eine solche Persönlichkeit, die ethische Werte „autonom“ als Pflicht anerkennt, ist mit diesen Werten behaftet und wird zum „Gut“. „Immer ist das Gut, an dem die ethischen Werte in diesem Sinne haften, die Persönlichkeit selbst, wie sie in den sozialen Zusammenhängen steht, und der Wert, der sie zum Gut macht, ist die Freiheit innerhalb der Gesellschaft oder die soziale Autonomie. Doch handelt es sich selbstverständlich bei den ethischen Gütern nicht nur um die einzelnen Persönlichkeiten, sondern ebenso auch um Gemeinschaften. Das ganze soziale Leben muß unter den Gesichtspunkt gestellt werden, daß es die freien, autonomen Persönlichkeiten zu fördern hat, und von hier aus sind dann Verbände wie Ehe, Familie, Staat, Nation, Kulturmenschheit usw. in ihrer ethischen Bedeutung zu verstehen.“ (A.a.O., S. 90)

 Kein Wort an dieser Stelle darüber, ob die ethischen Werte nun realisiert bzw. an Personen realisiert werden müssen oder ob sie überhaupt realisiert werden können, um aus einer Person eine Persönlichkeit, d.h. ein Gut, zu machen. Ja, noch nicht einmal ein ethischer Wert wird genannt, lediglich das „autonome“ Anerkennen des „Pflichtgemäßen“ wird angesprochen. Das aber ist nach der traditionalen Ethik keine ethische Haltung, sondern eine dianoetische. Statt von handlungsbestimmenden Prinzipien, wird von „Freiheit“ in der Gesellschaft (und von der „Kulturmenschheit“) abstrakt gefaselt. Dies schreibt der Philosoph im Elfenbeinturm 1921, drei Jahre nach dem 1. Weltkrieg, im Zeitalter revolutionärer Erhebungen und brutaler Klassenkämpfe.

 Die Weltfremdheit und blinde Verbohrtheit des Denkens von Rickert steigert sich noch, wenn er die Kantische Hoffnung auf eine Tendenz zu Moralität in seiner Zeit wirken sieht. „Die sozialethische Tendenz geht dahin, daß überall, im privaten und im öffentlichen Leben, freie Persönlichkeiten sich herausbilden, Individuen, die in der Mannigfaltigkeit ihrer Handlungen durch autonome Willen bestimmt sind. Es haben daher auch die sozialen Institutionen des sexuellen, wirtschaftlichen, rechtlichen, politischen, nationalen Lebens sich so zu gestalten, daß sie den Personen Autonomie gestatten oder, so mannigfaltig ihr Inhalt auch sein mag, durch die Form der persönlichen Freiheit zu Gütern werden.“ (A.a.O., S. 90) 

 Der überwiegende Teil der Bevölkerung lebt von Lohneinkommen. Er ist also in einem wesentlichen Aspekt seines Leben, die seine ökonomische Existenz begrifft, abhängig und nicht sozial autonom. Da Rickert nicht die soziale Wirklichkeit untersucht, sondern nur die Werte, mit der man aus dieser Wirklichkeit willkürlich etwa herausklauben kann, kommt er nicht einmal auf den Gedanken, dass seine ethischen Werte mit Notwendigkeit an den sozialen Verhältnissen scheitern müssen, schon gar nicht, dass seine Werttheorie zu einer Kritik der „Sittlichkeit“ (Persönlichkeit, Ehe, Familie, Staat usw.) führt. Auch hier zeigt die Tendenz von Rickerts Philosophie, dass es ihr nicht auf praktisches Handeln ankommt, auch nicht im Sinne seiner großen Persönlichkeit Goethe mit ihrem bürgerlichen Tätigkeitspathos: „Am Anfang war die Tat.“ Sondern die Rickertschen Werttheorie will eine ideologische Überhöhung und Verklärung des „geistigen Tierreichs“ (Hegel), wie sich die bürgerliche Gesellschaft jedem unbefangenen und gründlichen Denker offenbart.

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 Dennoch drückt die Wertphilosophie Rickerts auch eine historische Erfahrung des bürgerlichen Zeitalters aus. Sie konstatiert die Differenz von Wirklichkeit und „Wert“ im Zeitalter des Verfalls der bürgerlichen Kultur, entgegen seiner oben zitierten Behauptung von der „sozialethischen Tendenz“:

 „Zu den verschiedensten Zeiten hat die Philosophie sich um eine Einheit von Wert und Wirklichkeit bemüht, auch dort, wo sie nicht wußte, daß sie dies tat, und es nicht wissen konnte, weil es zu einer Trennung der Begriffe von Wert und Wirklichkeit noch nicht gekommen war. (...) Da man jedoch von der Wirklichkeit, die uns unmittelbar zugänglich ist, eine Einheit von Wert und Wirklichkeit nicht findet und sie schon deswegen nicht finden kann, weil sie ‚allgemein’ sein soll, was die uns bekannten Wirklichkeiten nie sind, so muß sie jenseits aller Erfahrung, eben im Metaphysischen, liegen. Dort thront dann die Wertwirklichkeit, wie man sie nennen kann, als das Absolute, von dem Alles stammt, an dem der Wert von Allem gemessen wird, und zu dem Alles hinstreben soll, das auf Bedeutung Anspruch erhebt.“ (Rickert: Aufsätze, S. 22; fette Hervorhebungen von mir) 

 Mit dieser Reflexion gibt Rickert zunächst einmal zu, dass seine Sinngebung von Wirklichem nur ein Konzept ist, nicht mit der schmutzigen Praxis des Kapitalismus, seinem Imperialismus, seiner Ausbeutung und den Weltmachtbegierten der nationalen Kapitale bis hin zum Krieg usw. zu tun hat. Die kritische Reflexion von Rickert, dass in der spätbürgerlichen Zeit im Übergang zum ungebremsten Kapitalismus, wie man das heute nennt, philosophisch ausgedachter Wert und soziale Wirklichkeit auseinander klaffen, führt ihn nicht zu einer Kritik an diesen Verhältnissen, sondern hin zur Flucht ins Metaphysische, um wenigstens dort die erhabenen Werte zu bewahren. Ich habe aber bereits gezeigt, dass dieser Eskapismus ins Metaphysische, schaut man genauer hin, sich als irrational erweist. Wie in den heutigen Religionen der jeweilige Gott ist in Rickerts Wertephilosophie die Begründung der Werte eher eine Beschwörung als eine rationale Einsicht, eher ein metaphysisches Geraune mit wissenschaftlichen Mitteln als der Nachweis eines Gehalts, eher der Appell an den Glauben des aussterbenden bürgerlichen Kulturmenschen als logische Überzeugungskraft.

 

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Stand: 24. Juli 2006